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Dordogne-Frankreich

 

Es muss nicht immer Lappland sein oder:

Paddeln wie Gott in Frankreich

 

Lohnt es sich überhaupt, über eine Reise Tagebuch zu führen, bei der keine großen Abenteuer zu erwarten sind? Weil wir bequem auf der Dordogne paddeln wollen, auf Zeltplätzen übernachten werden und uns - je nach Bedarf - in den Supermärkten mit neuer Nahrung versehen oder im Restaurant speisen wollen. Ich weiß es nicht - versuche es aber trotzdem.

Unsere Anreise beginnt am Donnerstag, dem 15.7. (dem ersten Ferientag) leider erst am Nachmittag, weil wir vorher noch fieberhaft die Reisebeschreibung über die Dordogne suchen müssen. Sie war seit über einem Jahr immer da, erst als wir anfangen zu packen, ist sie verschwunden. Nach langem Suchen taucht sie endlich im Handschuhfach des Volvos auf.

Da Ulrike uns einen Korb gegeben hat, übernachten wir auf einem Autobahnrastplatz hundert Kilometer hinter Nürnberg. Am nächsten Tag fahren Thomas - und manchmal auch ich -  bis kurz hinter Lyon. Die Dordogne ist eben doch sehr weit von Berlin entfernt. Wir erreichen sie erst am Samstag gegen Mittag, nachdem wir das Zentralmassiv durchquert haben. Bei Argentat, dem geplanten Ausgangspunkt unserer Tour, angekommen, ergattern wir einen traumhaften Stellplatz direkt am Fluss, den wir gar nicht verlassen mögen. Beim Rauschen der Stromschnellen verbringen wir noch zweieinhalb Tage, in denen wir faulenzen, lesen und uns erst einmal vom Schul-, Abschieds-, Klassenfahrts- und Zeugnisstress erholen, dem wir Non-Stop ausgesetzt waren.

Im Touristenbüro in Argentat erstehen wir eine genaue Karte für die Tour, weil wir uns in Berlin nicht ausreichend versorgen konnten. Diese Karte ist einfach toll und zweckmäßig, weil alle wesentlichen Fakten eingetragen sind, Flussverlauf, Erfordernisse, Schwierigkeiten und Sehenswürdigkeiten und das Ganze auf völlig wasserunempfindlichem Plastik gedruckt ist. So etwas sollte es überall geben.

Nun endlich:

Dienstag, der 20.7.1999

Wir haben alles gepackt, was wir zu brauchen glauben, nur meine Klarinette habe ich vergessen, und verabschieden uns von der netten französischen Familie, die neben uns wohnt. Dann kann es losgehen. Die Boote sind beladen, aber nicht überladen, schließlich brauchen wir diesmal nicht für die ganze Zeit Lebensmittel mitzuschleppen, und wir paddeln los. Nach kurzer Zeit kommt die erste Stromschnelle, auf die uns unser Reiseführer gebührend vorbereitet hat: Malpas(sage). Eine Insel im Flusslauf läßt die Strömung steigen. Wir meistern sie ganz souverän. Vielleicht liegt es an dem niedrigen Wasserstand, dass alle Hindernisse so leicht zu bewältigen sind; vielleicht sind wir ja auch mittlerweile erfahrener geworden: Wir sehen eher, wo man aufpassen muss. Und wenn es eine schwierige Stelle gibt, erkennen wir eher, wo man am besten durchkommt.

Der Fluss macht Spaß. Bei guter Strömung gibt es immer wieder Stellen, an denen es stärker sprudelt und Wellen (wir nennen sie Reiter), durch die man hindurch schießt. Häufig helfen nur die Spritzdecken, dass die Wellen nicht ins Boot schwappen. Nach einer relativ ruhigen Zeit lege ich sie ab und bekomme prompt in der nächsten Schnelle eine volle Ladung Wasser ab. Aber das macht nicht soviel, schließlich ist es schön warm (Thomas sagt: „brütend heiß!“) und man freut sich über ein bisschen Abkühlung.

Unsere Freude über die Dordogne teilen sich allerdings viele hundert Paddler, die vor und hinter uns in größeren und kleineren Gruppen unterwegs sind. Der größte Teil fährt auf den „Plaste“- Kanus der Vermietung Safaraid, die hier auf der Dordogne fast ein Monopol besitzt. Völlig professionell haben sie alles organisiert - die Transportgespanne fassen mehr als 75 Boote auf einmal. 

Aber die vielen Leute  sind  kein Problem;  vielleicht wäre es schöner ohne sie, aber welches Recht habe ich, das zu wünschen. Jedenfalls verteilen sich auf der Dordogne - anders als auf der Ardèche - die Boote auf eine viel größere Strecke, sodass es sich doch im Rahmen hält. Wie auch immer - das Paddeln macht Spaß. Thomas hält sich geduldig an meiner Seite. Es ist warm, ich fühle mich pudelwohl und bin in allerbester Stimmung.

Nach etwa 25 km kommen wir in Beaulieu - das Thomas scheußlich falsch „Bullio“ ausspricht - einem  hübschen  mittelalterlichen  Dorf  -  an  einem  Campingplatz an. Vorher hat sich der Fluss verzweigt, sodass wir den Campingplatz hinter dem Wehr und einer kleinen Bootsrutsche erreichen. Nach längerem Suchen finden wir einen schönen Stellplatz, bauen in bekannter Routine unser Zelt etc. auf und machen einen ausgedehnten Spaziergang durch den Ort. Anschließend zurück am Zeltplatz, kochen wir unser Essen (Pellkartoffeln mit Hühnchen und Auberginen) und verputzen es an unserer neuen Sitzkombination: Stühlchen mit selbstgebasteltem Rolltisch. Bestimmt sind wir die am luxuriösesten ausgestatteten Paddler auf der ganzen Dordogne.  

Mittwoch, der 21.7.

Aufstehen, lesen, frühstücken; heute kommen wir schon um elf Uhr los. Der Fluss ist etwas weniger voll, aber genauso schön. Es gibt anscheinend von Argentat aus viele Tageskanuten. Paddeln auf der Dordogne ist einfach toll, weil

- es warm ist,

- die Landschaft sehr schön ist,

- die Strömung sehr gut ist,

- es keine Mücken gibt,

- heute der Himmel etwas bedeckt ist.

Thomas - trotzdem mit T-Shirt und Sonnencreme -  atmet auf.  Kurz  hinter uns kommt ein Kanu. Als wir eine Stromschnelle mit richtig schönen Reitern passieren, sagt der eine zum anderen Kanuten auf deutsch: „Das macht doch wieder richtig Spaß.“ Er spricht uns aus der Seele. Bald schließen sie zu uns auf und wir kommen ins quatschen. Der eine ist die Dordogne schon mindestens 20mal gefahren, er scheint Gruppen hinunter zu führen. Er empfiehlt uns zum Übernachten den Ort Carennac, seiner Meinung nach den hübschesten von all den pittoresken Orten. 

Auf meine Frage hin schlägt er als Fluss auch  noch  vor,  den Allier zu paddeln, weil der so „richtig“ Strömung hat. Für alle Fälle ein guter Tipp. Ich kann mir nämlich noch nicht vorstellen, wie wir uns an den rund hundertzwanzig Kilometern 14 Tage aufhalten sollen.

Irgendwann fällt das Kanu zurück, weil sie auf die anderen Gruppenmitglieder warten wollen. Wir fahren weiter.

Es gibt wieder reichlich kleine zahme Stromschnellen. Eine davon wird mir zum Verhängnis. Kaum sieht man an einer diagonalen Bodenschwelle, dass wieder alles zur Seite strömt. Vor uns müht sich ein Floß, um von der Kiesbank wieder ins Fahrwasser zu kommen.  Thomas  rutscht  noch schnell vor  ihnen vorbei, ich bleibe höflich hinter dem Floß. Dadurch ist mir etwas die Sicht versperrt. Ich bin aber auch nicht aufmerksam genug. Einem flachen Stein, auf dessen rechte Seite ich zuschieße, kann ich nicht mehr rechtzeitig ausweichen und - plumps - liege ich im Wasser. Irgendwie komme ich aus dem Boot heraus, kann gerade noch meine Brille und das Sitzkissen einfangen, die sich selbständig machen wollen und schwimme, Paddel in der einen und Kajak in der anderen Hand, auf das Ufer zu, wo mich Thomas schon erwartet. Das Boot wird ausgeschöpft, ich ziehe mich  schnell  um.  Alles  ist  eigentlich kein Problem, nur furchtbar peinlich, dass es mich schon wieder einmal erwischt hat. Kurz nach uns kommt eine Gruppe, von denen zwei bis drei Kanus an der gleichen Stelle kentern. Ein Ausgleich?

Bald können wir weiterfahren und erreichen wohlbehalten den Zeltplatz kurz vor Carennac, auf dem wir uns häuslich niederlassen. Wir bauen unser Zelt auf, zum Essen gibt es Rührei mit Bratkartoffeln und Salat, spielen noch ein wenig Badminton, bevor wir uns auf den Weg in das einen Kilometer entfernte Carennac machen. Der Ort ist wirklich hübsch, überwiegend aus dem 16. - 17. Jahrhundert, ich will am liebsten alles fotografieren. Wir  schauen uns schon mal nach Restaurants um.

Für mich gibt es ein besonderes Abendprogramm. In der Kirche (etwa 12. Jahrhundert) höre ich ein Vokalkonzert. Neun Männer und Frauen singen ganz alte vorgregorianische Musik aus dem Mittelalter. Bei der phantastischen Akustik ist es ein beeindruckendes Erlebnis. Als ich um elf Uhr wieder nach Hause komme, wartet Thomas auf mich und wir gehen schlafen.

Donnerstag, der 22.7.

Wir haben uns ja vorgenommen, diese Reise anders als bisher mit vielen Pausen und Ruhetagen zu verbringen. Dadurch aber, dass wir so schnell voran- kommen, bin ich eigentlich noch gar nicht ruhebedürftig; überdies wir haben durch die kurzen Tagesetappen auch so die Gelegenheit, uns die Gegend anzusehen. Trotzdem entschließen wir uns nach einigem Hin und Her, heute einen „Faulen“ zu machen. Interessant wäre ja ein Fahrradausflug zur hochgerühmten Tropfsteinhöhle Gouff- re de Padirac. Ich habe aber, da in wir in letzter Zeit genug Tropfsteinhöhlen besichtigt haben, keine so große Lust dazu.

Letztendlich vertrödeln und verlesen wir fast den ganzen Tag - es ist übrigens nicht zu warm heute - ich wasche meine Wäsche, und wir machen uns am Abend auf die Socken ins Restaurant.

Dafür versuchen wir beide, uns etwas stadtfein zu machen. Wir entscheiden uns für ein Restaurant, dass uns ein freundlicher Antiquitätenhändler am Vortage empfohlen hat. Und wir werden nicht enttäuscht. Unser Fünfgängemenü ist extrem lecker und überhaupt nicht teuer. Um die Dame des Hauses zu beschwatzen, aus den verschiedenen Menüs die allerbesten Gerichte zu kombinieren zu dürfen, krame ich mit Erfolg mein allerschönstes Französisch hervor.

Thomas: Fischterrine, Nusstorte mit Tomatensoße, Confit de Canard, Käse, Eis;

Ich: Entenmägen auf Salat (köstlich), Jacobsmuscheln, gebratene Entenbrust mit Himbeeressigsahnesoße, Käse, Eis.

Völlig vollgefressen gehen wir im Finstern nach Hause und freuen uns über den schönen Tag. 

Freitag, der 23.7.

Es geht wieder weiter, wir starten sogar schon um halb elf. Heute soll nach unserer Reisebeschreibung die landschaftlich schönste Strecke kommen, und sie ist auch wirklich wunderbar. Die Dordogne hat sich vor Ur-(oder besser wohl Eis-) zeiten ein Bett in den weichen Kalksandstein gegraben. Und so fahren wir immer wieder an hohen Steilhängen vorbei. Ocker, weiß und grau leuchten die Felsen und werden eingerahmt und gesprenkelt vom Grün der Bäume, die dort wachsen  und zum Teil in den kleinsten Nischen und Spalten Halt gefunden haben. Besonders atemberaubend sieht es aus, wenn der Fluss direkt an diese Steilküsten anstößt und das Licht des bewegten Wassers auf die Felsen geworfen wird.

Ich könnte stundenlang zuschauen, aber es geht ja weiter. Besonders da Thomas, dem die heute besonders starke Hitze viel mehr ausmacht als mir, zum Weiterfahren drängt. Darum vermeiden wir weitere Pausen.

Hier entlang der Dordogne schlängelt sich auch die Straße, auf der wir vor zwölf Jahren während unseres Frankreichurlaubs mit Marie-France gefahren sind.  Einmal mussten wir damals sogar rückwärts fahren, weil wir mit unserem dicken Wohnmobil nicht unter den niedrigen Felsüberhängen hindurch kamen, die oft die ohnehin schon enge Straße unterbrechen. Diesmal schauen wir uns die Straße vom sicheren Wasser aus an und machen Fotos. Ohnehin möchte ich die Steilküste pausenlos fotografieren.

Seltsamerweise gibt es auf diesem sehenswerten Abschnitt weniger Bootsverkehr als sonst. Mir ist schleierhaft wieso; es kann mir aber nur recht sein.

So  geht  die  Fahrt  bei  meist  ruhigem und manchmal sprudelndem Wasser schnell vorbei. Einen früheren Zeltplatz lehne ich ab, weil ich noch gar nicht müde bin.

So landen wir an dem als besonders schön beschriebenen Zeltplatz kurz vor La Cave, den wir uns als heutiges Etappenziel vorgenommen haben. Der Platz, der uns zugewiesen wird, ist zwar mit direktem Blick auf den Fluss und dicht am Weg zum Wasser, aber sonst so ziemlich das Schlechteste, das uns bisher geboten wurde. Recht laut, dreckig und völlig staubig, weil alles Gras vertrocknet ist. Leider haben wir gleich bezahlt und können oder wollen

nicht einfach weiterfahren. Überdies ist es der teuerste Platz von allen, und eine ätzende Lautsprecheranlage ruft ständig irgendwelche Campinggäste ans Telefon.

Wir richten uns so gut es eben geht auf unserem Platz ein und freuen uns nur, dass wir gestern unseren Ruhetag hatten, also nur eine Nacht bleiben wollen. Wir trinken Kaffee und essen Kuchen, lesen und machen uns zum Abendbrot nach einiger Diskussion eines unserer „leckeren“ Tütengerichte - Tortelini auf asiatisch. Es schmeckt gar nicht so schlecht, und weiterhin faul  lesend, Tagebuch schreibend und französischen Landwein trinkend beschließen wir den Abend.    

Samstag, der 24.7.

Wir kaufen noch etwas auf dem Campingplatz ein und fahren gegen elf Uhr fünfzehn los. Die heutige Etappe soll recht lang werden, aber wir sind ja gut ausgeruht und könnten die Fahrt auch notfalls vorher beenden. Zunächst halten wir auf die Burg Belcastel zu, die oben auf einer Klippe thront, und ihren Namen - Schöne Burg - völlig zu recht trägt.

Kurz dahinter soll eine Höhle kommen, in die man angeblich mit dem Kanu fünfzig Meter weit in den Felsen hineinfahren kann. Wir haben schon unsere Taschenlampe gezückt und halten nach der Höhle Ausschau, natürlich nach einer ganz großen Einfahrt. Sicher, diese selbst zu entdecken, frage ich - gegen Thomas´ Rat - keinen der vorbeifahrenden Angler oder Kanuten. Erst als ich mir nicht mehr vorstellen kann, dass sie noch kommt, erkundige ich mich bei einem Franzosen, der mit einer Jugendgruppe unterwegs ist. Doch, meint dieser, da seien wir schon ein gutes Stück daran vorbeigefahren, etwas über einen Kilometer. Und der Eingang sei ganz schmal. Thomas fragt mich: „Du willst doch nicht wirklich dorthin zurückfahren!?“ „Nein, natürlich nicht .... doch!!!“, ändere  ich  meine Meinung. Denn schließlich ist es etwas ganz Besonderes, das wir uns da ansehen wollen.

Erst als wir zurückpaddeln, merke ich, was ich mir  da eingebrockt habe. Die Gegenströmung, die ich beim Bergabfahren überhaupt nicht wahrgenommen habe, ist ganz erheblich. Ich ächze und keuche und kämpfe um jeden Meter. Auch Thomas läuft der Schweiß von der Stirn. Da merkt man erst, wie einem die Strömung sonst immer hilft.

Endlich kommen wir an einem ganz engen, ein Meter breiten und zwei Meter hohen Spalt im Felsen vorbei. Durch das Niedrigwasser kommt man gar nicht mit dem Boot hinein. Wir legen an, und Thomas erkundet mit der bald versagenden Taschenlampe - ich habe wohl zuviel beim Schein der Taschenlampe Tagebuch geschrieben - die ersten fünfzehn Meter zu Fuß und macht Fotos. Wir wollen gerade wieder weiterfahren, da legt eine Gruppe Franzosen an, bestätigt, dass dies die richtige Höhle sei Sie bieten uns an, uns mitzunehmen. Da ich vorher Thomas‘ Boot halten musste, gehe ich nun gerne mit.

Die ersten Meter sieht man noch ganz gut, dann  knickt der Gang ab, und es wird vollständig finster. Nur vom spärlichen Licht der französischen Taschenlampe erhellt, tappen wir vorwärts, die Füße im kalten Bachbett, das dort aus dem Felsen kommt und diesen Gang wohl geschaffen hat. Nach einem zweiten Knick geht es irgendwann nicht mehr weiter, das Wasser wird zu tief, aber dreißig Meter werden es wohl gewesen sein. Wir spötteln  etwas über die herumliegenden Gebeine früherer Kanuten und kehren wieder um.

Das Tageslicht wirkt nach der Dunkelheit der Höhle unglaublich hell. Wir verabschieden uns von den netten Franzosen und fahren weiter.

Mit dieser Aktion haben wir reichlich Zeit und noch viel mehr Kraft verbraucht. Ich versuche, ohne zu trödeln zu paddeln und voran zu kommen. Die Landschaft wird ein wenig offener, aber Steilküsten und kleinere Schwälle begleiten uns weiterhin und lockern die Fahrt auf.

Es ist schon recht spät, als wir dann endlich in St. Julien de Lampon ankommen, wo wir für heute und vielleicht auch morgen rasten wollen. Zuerst landen wir links auf einem ganz einfachen Camping à la Ferme (auf dem Bauernhof), der zwar viel Atmosphäre, aber leider keinen Schatten hat.  

Dann besuchen wir auf der gleichen Seite etwas weiter einen jener als „sehr schön“ empfohlenen Campingplätze, gegen die ich ein profundes Misstrauen zu entwickeln beginne. Groß angelegt, mit allem Schnickschnack bzw. Komfort ausgestattet, aber überfüllt und viel zu laut. Da das Gras wieder eher einer Staubpiste ähnelt, beschließen wir, uns zu guter Letzt auch noch den dritten Campingplatz auf dem gegenüberliegenden Ufer anzusehen.

Dort werden wir endlich fündig. Ruhiger, gepflegter und schattiger ist dieser Platz, und wir finden ein bezauberndes Eckchen   mit  Blick  auf  den  Fluss,  auf dem wir uns häuslich einrichten. Es ist mittlerweile fast sieben Uhr als wir fertig sind. In Ermangelung von Einkaufsmöglichkeiten machen wir uns über unsere „leckeren“ Tütennudeln mit Tomatensoße her, die wir mit unserem letzten Rest französischen Landwein herunterspülen. Das Baden im Fluss ist sehr lustig für uns. In der kräftigen Strömung treibt man sehr schnell bergab, dann laufen wir über eine Sandbank zurück und der Spaß kann aufs Neue beginnen. Hinterher sind wir herrlich erfrischt. Abends machen wir  noch  einen  Mondscheinspaziergang ins einen Kilometer entfernte St. Lampon.

Sonntag, der 25.7.

Heute schon wieder ein Ruhetag. Ich bin aber ganz zufrieden, weil der gestrige Tag ziemlich anstrengend war und mir Platz und Ort hier sehr gut gefallen. Nach einem weiteren Bad im Fluss frühstücken wir und unternehmen eine Wanderung nach Carlux, wo es eine landwirtschaftliche Verkaufsaustellung geben soll. Auf einem glücklicherweise recht schattigen Höhenwanderweg erreichen wir den Ort, wieder sehr schön, pittoresk, der um eine mittlerweile verfallene Burg aus dem elften Jahrhundert gebaut ist. Während Thomas mal wieder mit seinem Telefon spielt - er sagt natürlich, dass er versucht, Empfang  zu bekommen - schlendere  ich  zur  Kirche,  aus  deren  offener  Tür wunderschöner Gesang und Orgelmusik dringen. Die Gemeinde ist bei der Kommunion. Am liebsten würde ich mich dazusetzen, aber Thomas wartet schon auf mich.

Die „Halle paysanne“ - ländliche Halle - ist in einem alten Bauernhof untergebracht und enthält neben für uns uninteressanten kunstgewerblichen Gegenständen frisches Obst, Gemüse, Wein, Käse, Öl und alle Arten von Walnussprodukten. Ich steigere mich in einen wahren Kaufrausch, und schwer beladen mit Nussöl, Confit de Canard, Steinpilzen, Pfifferlingen, Bohnen, Wein, Käse, Leberpasteten und einem Fünfliterweinfässchen machen wir uns auf den Abstieg zum Campingplatz.

Es ist enorm heiß. Ich ziehe mir meinen Badeanzug an,  wir  verstauen   die  Beute   in  unserem   „Kühlschrank“ - einer mit einem nassen Handtuch bedeckten Abwaschschüssel - und lesen und genießen den Rest des Tages auf unserem Platz im Schatten. Eigentlich würde ich mal gerne meine Unterschenkel und meinen Rücken in die Sonne hängen, da ich mit meiner „Paddelbräune“ merkwürdig gescheckt aussehe, aber das ist mir viel zu warm.

Das Abendabendessen, das so großartig geplant war, fängt erst einmal ganz schlecht an. Als ich die Pilze putzen will, merke ich, dass sowohl Steinpilze als auch Pfifferlinge voller Würmer sind. Ich ekele mich unwahrscheinlich und will schon alles wegschmeißen, aber der Geiz siegt. Mühsam und langwierig schneide ich alle Pilze einzeln aus. Der klägliche Rest,  der  übrig bleibt, ist nun zwar garantiert „rein pflanzlich“, aber mein Appetit ist so ziemlich auf den Nullpunkt angelangt. Dabei wird das Essen mit Béchamelkartoffeln, Pilzpfanne, gebratener Entenbrust, dazu einer Flasche Rotwein dann doch noch wirklich gut. Wir stellen nur noch unser Geschirr zusammen und gehen dann, leicht angetütert,  früh schlafen.

Montag, der 26.7.

Wir holen unser Baguette wieder vom Bäckerwagen, frühstücken, bezahlen den Campingplatz und starten so gegen elf Uhr. Die Strecke selbst ist wenig bemerkenswert, genauso schön wie sonst auch, nur dass fast noch mehr Boote als sonst unterwegs  sind.  Überall  baden  die  Leute vom Boot oder vom Ufer aus. Die Dordogne ist mittlerweile groß genug dafür. Auch wir beschließen, Rast zu machen und zu baden. Es ist ganz besonders heiß heute und die Erfrischung tut gut. Während Thomas sich wieder umzieht, hänge ich mich einfach hinten an mein Boot und schwimme und schiebe schon mal los. Es geht gut und macht Spaß, nur manche Leute sehen mich sehr merkwürdig an.

Als Thomas mich wieder einholt, springe ich ins Boot und die restlichen vier bis fünf Kilometer bis Cénac fahre ich im Badeanzug. Der Campingplatz ist reichlich voll und sandig, aber da wir nicht wissen, was uns sonst erwartet, entscheiden wir uns für ein Miniplätzchen unter einer großen Pappel, das halbwegs im Schatten liegt.

Dies ändert sich leider im Laufe des Nachmittags, und es ist erbärmlich heiß. Wir baden wieder im Fluss, dann liest Thomas  im  Schatten,  seinen  Rücken gegen den Baumstamm gelehnt. Ich langweile mich etwas, da mein spannendes Buch von D. Dunnett beendet ist und ich jetzt nur noch ein französisches Taschenbuch mithabe, dass ich zwar ganz gut verstehe, das mich aber sonst nicht so vom Hocker reißt. Ich versuche es auch mit Patience legen. Irgendwann kann ich Thomas zu einem Besuch im Dorf beschwatzen, wo es aber genauso heiß und nicht besonders interessant ist.

Abends mache ich Chili con Carne aus der Tüte - das Carne ist vom Fleischer - was eigentlich gut schmeckt, aber höllisch scharf gewürzt ist. Nach nur einem Teller voll und einem Liter Wasser gebe ich auf. Später spielen wir wieder Federball und springen nochmals in den Fluss. Zuerst sind Zirren am Himmel, dann  ist er bewölkt - ein traumhafter Sonnenuntergang, den ich zu Thomas´ Leidwesen gleich wieder fotografieren muss - was werden wir wohl morgen für Wetter haben? 

Dienstag, der 27.7.

Wie vermutet gibt es in der Nacht ein kräftiges Gewitter, und morgens regnet es auch noch etwas. Trotzdem legen wir  pünktlich  ab.  28 Kilometer beträgt  die heutige Tagesstrecke. Bald führt uns unser Weg an dem bezaubernden Ort La Roque Gageac  vorbei, ein kleines altes Städtchen, dass sich eng an eine hohe steile Felswand schmiegt. Wir sehen keine Post zum Postkarten abstempeln, halten also nicht an, was eigentlich schade ist, denn wir entdecken weit oben im Felsen ummauerte Stellen, an denen sich Leute befinden.

Offenbar jedoch ist die Sicht vom Wasser aus am schönsten. Denn zu den Kajaks gesellen sich noch kleine, mit einem Pseudosegel versehene Ausflugsdampfer, um den zahlreichen Touries den Blick vom Wasser zu ermöglichen.  

Unterweg besprechen wir, dass es eigentlich viel zu schade wäre, die Tour jetzt schon in Beynac oder Limeuil zu beenden. Wir haben noch viel Zeit und trotz der hässlich unbequemen Wehre, die nun kommen sollen, beschließen wir, bis Bergerac weiter zu fahren, denn dort ist laut Kajakführer eine Bahnstation.

Als wir in Siorac ankommen, achten wir besonders auf intakten Rasen und finden auch einen Platz, der schön schattig ist und grünen Rasen hat. Nach der Aufbauzeremonie gehen wir in den Ort einkaufen - endlich wieder ein Intermarché -  und  zur  Bahn,  um uns nach der Rückreisemöglichkeit zu erkundigen. Was wir vom etwas unwilligen Schalterbeamten erfahren, ist nicht ermutigend. Zwölf Stunden soll die 100 - 150 Kilometer lange Rückfahrt nach Argentat dauern! Vielleicht findet sich ja noch etwas Besseres, z.B. eine Autovermietung; wir lassen es erst einmal offen.

Zum Mittag gibt es eine ganz ordentliche Paella, die wir  fertig eingekauft haben. Nachts gewittert es heftig. Wir haben Glück, dass uns das Gewitter nie tagsüber heimsucht.   Weniger großes Glück haben wir mit der Wahl unseres  Platzes  gehabt.  Zuerst  stört Thomas die große Laterne, die genau in unser Zelt scheint. Außerdem befinden sich rund um uns vier Familien mit Babies, von denen eines garantiert immer schreit. Scherzhaft diskutieren wir eine Checkliste der Katastrophen und versuchen uns, über die Reihenfolge klar zu werden: Babies oder Sonne, Lampe oder Staub ...

Mittwoch, der 28.7.

Wir gehen nochmals einkaufen, schauen uns bequemere flache Campingstühle an und kaufen uns noch mehr   von   dem   köstlichen   frischen Schafskäse, den wir erst hier kennengelernt haben. Ich erstehe einen spannenden französischen Schmöker, da ich mit dem anderen Buch nicht warm werde. 

Danach haben wir natürlich keine Zeit mehr etwas anderes zu tun, als zu lesen: Ich in meinem neuen Buch, Thomas liest seinen 750seitigen Tom Clancy aus. Da können selbst lästige Babies nicht viel ausrichten. Abends gibt es im Topf geschmorte frische Hühnerteile, nachts nochmals Babygeschrei und Regen. Es wird Zeit, dass wir wegkommen.

Donnerstag, der 29.7.

Warum der Reihe nach schreiben, wenn die Situation gerade im Augenblick einfach zu merkwürdig ist: Ich sitze im Zelt. Es regnet in Strömen. Thomas ist im Waschhaus verschollen - er bleibt sicherlich dort, bis der Regen etwas nachgelassen hat. Und neben mir im Zelt sitzt ein wildfremder Franzose, dem wir Schutz vor dem Regen angeboten haben.

Ganz so fremd ist er eigentlich nicht mehr, wir haben ihn nämlich schon heute nachmittag kennengelernt. Aber jetzt berichte ich doch der Reihe nach:

Heute früh sind wir zeitig losgefahren; die Strecke ist auch mit 31 km besonders weit und eine eklige Umtragestelle lauert auf uns kurz vor Ende unserer Etappe. Bald nach dem Start merke ich, dass sich meine Karte so seltsam schmierig anfühlt. Ich habe schon die Eier aus der Küchentasche im Verdacht. Aber mit dem Geruch macht sich auch die Erkenntnis breit, dass wohl mein gutes Nussöl ausgelaufen sein muss. Ich fahre ans Ufer, die Vermutung bestätigt sich. Die Flasche mit dem kostbaren Öl ist zu einem Drittel leer. Dafür klebt alles, besonders meine Hand,  mein  Paddel  und  mein ganzes Kajak innen. So eine Scheiße! Ich reinige notdürftig mit Shampoo Hände und Paddel und wir setzen unsere Fahrt fort.

Es gibt nur noch ganz wenige Paddler, der Fluss wird breiter. Jeweils auf einer Seite befindet sich ein bewaldeter Hügel, auf der anderen Seite sind Bäume, dahinter Mais- und Tabakfelder. Der Fluss gehört wieder den Reihern, den kleinen Wasservögeln, den Raubvögeln und natürlich uns. Es ist bedeckt, nur manchmal kommt die Sonne durch.

So kommen wir gut voran, passieren schließlich Limeuil, unser ursprüngliches Reiseziel. Die Dordogne vereinigt sich mit  der  Vézère,  wird  richtig breit - 100 bis 150 Meter - und verliert ihre schöne Strömung. Das Wehr von Mauzac staut soweit zurück.

Endlich kommen wir dort an und steigen aus, um uns umzusehen. Es ist wirklich kaum möglich, direkt umzutragen, also bleiben nur die 800 Meter Portage, zu der ich überhaupt keine Lust verspüre.

Als wir zu den Booten zurückkehren spricht uns ein Herr auf französisch an. Er ist allein unterwegs mit seinem nagelneuen Faltboot und sieht keinerlei Möglichkeit, allein umzusetzen. Das Ende vom Lied ist, dass wir zuerst unsere Boote  umkarren  -  es  geht  erstaunlich gut, und der Franzose zieht auch noch mein Kajak. Anschließend gehe ich mit ihm zurück, um sein Boot zu holen. Er ist uns enorm dankbar, wir sind seine „Bon dieux“, die ihm die Fahrt gerettet haben. Beim Holen des Faltbootes unterhalten wir uns:

Er besitzt ein Feinschmeckerrestaurant in Paris, das in etlichen Gourmet-Zeitschriften erwähnt wird. Er hat sich, um abzunehmen und nicht immer gutes Essen und Trinken vor sich zu haben, ein Boot und Zubehör - nicht vom Schlechtesten - gekauft und will damit aktiven Urlaub machen. Ich finde ihn sehr   sympathisch,   angenehm   offen und witzig. Er hat herrlich trockene Sprüche drauf. Insgesamt ist er nicht so sehr der feine Oberkoch, sondern mehr ein uriges Original - bekleidet mit seiner Badehose, Weste und einem rosa Mützchen. Außerdem genieße ich natürlich die französische Unterhaltung. Endlich mal mehr als nur Einkaufs- und Campingplatzkonversation, obwohl ich die auch sehr mag. Französisch ist schließlich auch ein Teil von mir, den ich sonst nie nutze.

Schließlich fahren wir gemeinsam zum nahegelegenen Zeltplatz, wo wir unsere  Zelte  aufbauen;  d.h.  seines ist eigentlich nur ein Goretex-Sarkophag, nicht größer als eine Term-a-rest-Matte und nicht höher als fünfzig Zentimeter. Ich bekäme sicher Platzangst darin. Sobald unser Zelt steht, fange ich an, mit viel Waschpulver mein Boot zu ent-ölen. Thomas macht sich auf den Weg ins zwei Kilometer entfernte Lalinde, um Wein zu kaufen.

Kurze Zeit später fängt es plötzlich an, ganz heftig zu regnen, wodurch es zur anfangs beschriebenen Situation kommt. Bald kehrt Thomas zurück.

Jean-François, so heißt der Franzose (natürlich), geht früh schlafen und Thomas  und  ich plündern zum Abendessen eine Dose Fisch und unseren köstlichen frischen Schafskäse. Im Stockfinsteren beende ich mein heutiges Tagebuch.     

Freitag, der 30.7.

Jean-François hat uns ein Baguette mitgebracht, wir frühstücken, und zu dritt kommen wir sogar schon um zehn Uhr weg. Kurz hinter dem Zeltplatz liegt die angekündigte WW II - mit erheblicher Wellenbildung -, die Thomas zumindest vom Ansehen reichlich zahnlos fand. Da ich die kleineren Vorschwälle schon für die eigentliche Stromschnelle halte, und mir in Ruhe die mehr als hundert Schwäne auf einer Sandbank anschaue, brumme ich auf, komme kräftig ins Kippeln und schramme nur knapp  an ein paar hässlich aussehenden scharfkantigen Steinen vorbei.

Nach einer Weile können wir am Wehr von St. Agne anlegen. alle drei Möglichkeiten des Reiseführers - 1. über lange Treppen direkt umtragen, 2. ein Kilometer links umtragen und dann durch ein Gebüsch oder 3. drei (!!!) Kilometer rechts umkarren - hören sich gleichermaßen unannehmbar an. Wir legen an Wehr und E-Werk an und obwohl uns zwei freundliche Aal-Forscher helfen wollen, sehen wir, dass es nicht geht. Die zweite Möglichkeit erweist sich als gar nicht so schwierig. Außerdem liegen  auf  dem  Bauernhof,   den  wir  durchqueren müssen, unter Bäumen zahlreiche leckere Äpfel, mit den wir uns reichlich versorgen.  Trotzdem sind wir, als wir alle drei Boote umgetragen haben, verschwitzt und gehen im Fluss baden.

Als wir dann irgendwann eine Brücke passieren, frage ich Thomas, wo wir sind, und er antwortet mir, dass wir erst die Hälfte der heutigen 26-km-Strecke bis Bergerac geschafft haben. Es ist schon drei Uhr, ich habe eigentlich gar keine Lust mehr, aber mit etwas guter Strömung vom Wehr an geht es dann doch gut weiter. Die Landschaft ist viel offener, die Hänge sind flacher und der Fluss ist breiter geworden. Trotzdem empfinde ich auch diese Strecke noch als sehr reizvoll. Der Boden des Flusses ist weitgehend felsig. Dies mag auch der Grund sein, warum ein derart großer Fluss nie für herkömmliche Schifffahrt genutzt werden und so schön und naturbelassen bleiben konnte. Blanken Felsen kann man schließlich nicht ausbaggern.

Obwohl  wir  ja  eigentlich unsere Reise in Bergerac  beenden wollen, machen sich Zweifel breit. Sei es, dass die Bahnverbindung nach Argentat so schlecht ist, sei es dass wir noch gar keine Lust haben, die (Tor-)Tour zu beenden, oder dass Thomas fürchtet, ich wolle ihn in der dann verbleibenden Zeit noch ans Meer verschleppen. Wir beschließen, nach einem eher flapsig gemeinten Vorschlag von mir, noch drei Tage bis nach Libourne weiterzufahren.

Gegen fünf Uhr kommen wir endlich an, finden ein hübsches Plätzchen mit Seeblick, bauen die Zelte auf und gehen einkaufen. Wir sind nämlich völlig abgebrannt.  Zurück  auf dem Zeltplatz möchte ich eigentlich meine grünen Bohnen mit Confit de Carnard (eingemachte Ente) machen. Als Jean-François sieht, dass ich die Dose öffnen will, hält er mich auf und meint, dass es viel zu schade wäre, dies nicht im Ofen zu braten. Auf so kompetenten Rat muss ich natürlich hören. So gibt es Bohnen, Béchamel-Kartoffeln aus der Tüte (über die er etwas die Nase rümpft) und frische Leberpastete. Wir schwatzen noch eine Weile, trinken etwas Wein und gehen viel zu spät schlafen. Wobei das Schwatzen übrigens so aussieht, dass ich mit Jean-François auf französisch unterhalte und für Thomas soweit möglich und nötig (und für seinen Geschmack viel zu selten) übersetze.

Samstag, der 31.7.

Morgens gehe ich noch in den Ort, um eine Karte der restlichen Flussstrecke zu finden. Daher können wir von unserem Platz erst gegen elf Uhr aufbrechen. Das Wehr nach eineinhalb Kilometern, dass als ganz leicht passierbar beschrieben ist, zwingt uns, die Boote einhundert Meter zu umkarren. Das dauert wieder eine Stunde, aber dann   geht   es   ohne  Schwierigkeiten  weiter.

Ich freue mich, zu entdecken, dass der Fluss immer noch - oder wieder - eine flotte Strömung und sprudelnde „Schwällchen“ hat, obwohl er schon so groß geworden ist. An den Ufern sieht man jetzt mehr und mehr Bauernhöfe, Datschen oder herrschaftliche Anwesen. Der Mais, der dort sonst angebaut wurde, wird von Obstplantagen und später auch von Weinbergen abgelöst. Wir nähern uns dem größten und mit St. Emillion auch berühmtesten Weinbaugebiet Frankreichs.

Als wir in St. Foy ankommen, fahren wir erst einmal zu weit, weil die DKV Beschreibung nicht  stimmt.  Deshalb  versuchen wir es zuerst mit dem Kanuclub, weil man dort besser anlegen kann. Die Jugendlichen, die wir fragen, ob wir dort zelten können, geben uns die vage Zustimmung, dass es möglich sei, wenn wir etwas Lärm vertragen können. Wir versuchen es doch lieber auf dem Campingplatz gegenüber, der zwar hoch liegt, aber gar nicht so schlecht zu erreichen ist. Als wir unser Zelt hinter einer hohen Hecke auf einem guten Platz aufgebaut haben, verdunkelt sich langsam der Himmel.

Zum Mittag macht Thomas Nudeln mit Tomatensoße, die unser Küchenchef mit  guten  Ratschlägen  begleitet  und die er dann auch gar nicht so übel findet.  Ich übrigens auch nicht! Da ich nicht kochen muss, will ich mich gerade ans Tagebuchschreiben machen, dass ich sträflich vernachlässigt habe, als wir von einem Herrn zu einem kleinen „Ehrenschluck“ - Boisson d´ honneur - eingeladen werden.  Dieser entpuppt sich nach der Begrüßung des Bürgermeisters als Weinprobe zweier nahegelegener Weingüter. Der Wein - weiß, rosé und rot - ist hervorragend, am meisten machen mir die gezielten Fragen   Spaß,   die  Jean-François  den Weinbauern stellt: Welche Lage, welche  Bodenbeschaffenheit,  Anbaumethode usw. Da lässt sich der Fachmann nicht verleugnen. Er ersteht zwei Flaschen guten Rotwein und wir gehen zum Zelt zurück, um in zu trinken. Das Gewitter ist mittlerweile rund um uns aufgezogen, heftiger Wind kommt auf und, krach, bricht ein riesiger Ast von einem nur 10 Meter entfernten Baum ab. Glücklicherweise landet er dicht  neben Jean-François´ Zelt, niemand kommt zu Schaden. Erstaunlich ist, dass rings um uns her der Himmel ganz finster ist. Links und rechts gewittert es, nur bei uns regnet es nicht.

So trinken wir erleichtert unseren Wein, freuen uns, dass wir doch auf diesen Zeltplatz gegangen sind, und was wir alles erlebt haben, besonders als beim Kanuclub drüben eine Art Techno-Nacht-Fête startet. Thomas sagt „Mini-Love-Parade“. Auf unserer Seite ist es noch laut genug und dauert die ganze Nacht, auf der anderen Seite wären uns aber bestimmt die Ohren abgefallen. 

Sonntag, der 1.8.

Es geht wieder gemeinsam los. Heute nur 26 km ohne Wehr. Meine Arme sind reichlich müde, schließlich hatten wir lange keinen freien Tag mehr. Da der gute Thomas nun auch noch meine schwere Küchentasche bei sich ins Boot lädt, nehme ich diese Strecke bei immer noch recht guter Strömung eben als „Ruhetag“, vor den 33 km morgen nach Libourne. Die weniger werdenden Campingplätze und unsere knapper werdende Zeit mach diese Einteilung notwendig.

Jean-François muss ein paarmal anhalten, weil ihm sein Rücken weh tut, aber letztendlich kommen wir gut vorwärts, auch wenn man jetzt schon die Auswirkungen   von  Ebbe  und  Flut  auf  dem Fluss spüren soll.  Das Wetter ist heute zwar sehr heiß und sonnig, aber angenehm frisch.

Bald kommen wir an unserem Zeltplatz in Castillon la Bataille an. Der Zeltplatz ist jedoch vollständig ausgebucht. Mit etwas Betteln erhalten wir von der sehr netten Dame des Campingplatzes dennoch ein Eckchen am Wasser vor einem zur Zeit unbenutzten Wohnwagen.  Also wieder Zelte aufbauen. Zum Mittag gibt es die Reste von gestern, da wir überhaupt keine Vorräte mehr haben. Wir machen uns Gedanken, wie wir morgen Nachmittag von Libourne nach   Argentat kommen - übrigens mit Jean-François, der von Argentat aus den Beginn unserer Tour noch anhängen will. Das Problem wird nicht besser dadurch, dass wir erfahren, dass der einzige Campingplatz in Libourne nicht vom Wasser aus erreichbar ist. Zwanzig Möglichkeiten - Mietauto, Miettransporter, Kanuclub, Bahn über Périgeux oder Bergerac, Fahrt nach Argentat oder Les Eysies - werden erörtert und verworfen. Damit vergeht eigentlich der Rest des Abends. Die Lösung lassen wir offen.

Montag, der 2.8.

Morgens hat sich Thomas dann entschlossen. Wir beenden die Tour einfach hier in Castillon - 250 km sind auch genug - und fahren alle drei mit der Bahn nach Les Eysies und von dort aus mit Jean-François nach Argentat. Die Bahn fährt allerdings erst um 17 Uhr. Und so packen wir sorgfältig unsere Zelte und Boote, Jean-François packt sein Faltboot ein. Dann geben wir unser Gepäck an der Rezeption ab.

Gegen Mittag gehen wir in den Ort, um uns den Bahnhof anzusehen und Fahrkarten  zu  kaufen.  Der Schalterbe-

amte macht uns darauf aufmerksam, dass wir auch mit der Bahn um 18.30 Uhr den selben Anschluss  in Le Buisson bekommen.

Heute haben wir nicht so viel Glück mit dem Wetter. Es zieht wieder ein Gewitter auf, und wir werden kräftig nass, bis wir uns in ein Café setzen und dort auch ein recht mäßiges Mittagessen zu uns nehmen können. Ich unterhalte mich mit Jean-François über sein Restaurant. Sein großer Erfolg beruht offenbar darauf, dass er sich sehr gut auskennt und dank vieler guter Beziehungen sehr gute Küche zu einem vernünftigen Preis anbieten kann. Dafür muss er aber auch täglich von neun Uhr morgens bis zwei Uhr nachts arbeiten.

Der Regen will einfach nicht aufhören. Schließlich rufen wir uns ein Taxi, dass uns zum Campingplatz bringt. Dort laden wir unser Gepäck ein, nehmen wärmere Kleidung mit und fahren zum Bahnhof. Später stellt Thomas fest, dass er seine Schuhe im Taxi gelassen hat. Ich habe in den zwei Stunden Wartezeit bis zur Ankunft des Zuges wenigstens etwas zu tun. Ich gehe noch einmal hinaus in den Regen und mache mich auf die Suche nach den Schuhen, die uns schließlich zum Bahnhof gebracht werden.

Die Bahnfahrt führt uns durch Weinberge und Felder zurück, wobei mir die Landschaft vom Wasser aus - wie meistens - viel besser gefallen hat. Manchmal überqueren wir die Dordogne, dann schauen wir alle hinaus und versuchen uns zu erinnern. Leider hat das Unwetter wohl die Signale beschädigt. Sie stehen permanent auf rot; wir müssen jedes Mal anhalten und dürfen erst nach Sondergenehmigung weiterfahren. Das kostet viel Zeit und wir haben nur eine Viertelstunde zum Umsteigen übrig. Ich traue mich gar nicht, Thomas zu informieren - was der mir natürlich später übel nimmt. Was machen wir nachts in Le Buisson, wenn der letzte Zug weg ist?

Als wir endlich mit einer halben Stunde Verspätung eintreffen, steht unser Zug glücklicherweise noch dort. Wie Jean-François von dem Zugführer erfährt, soll er sogar noch weitere zwanzig Minuten auf einen anderen verspäteten Zug warten. Wir beschließen, uns die Wartezeit in der gegenüberliegenden Bahnhofskneipe mit einem Bierchen zu verkürzen. Wir haben es nach fünf Minuten kaum geleert, da sehen wir, prompt unseren Zug abfahren. Wir stürzen auf den Bahnhof, er ist tatsächlich weg. So ein Ärger, natürlich war es der letzte heute. Jean-François geht zum Bahnhofsvorsteher und beschwert sich bitterböse. Der kontert, dass ihn unser Problem ja überhaupt nichts anginge und wir schließlich nicht hätten wegzugehen brauchen. So gibt ein Wort das andere und beide fetzen sich lautstark. Wunderbarerweise endet es damit, dass der Bahnhofsvorsteher, der jetzt Dienstschluss hat, anbietet, uns in seinem Auto nach Les Eysies mitzunehmen. Typisch echt Franzosen. Er bringt uns sogar noch mit unserem schweren Gepäck bis zu Jean-François´ Auto am Fluss und wir verabschieden uns herzlich von ihm. 

Dann wird das Auto, ein Kleintransporter bzw. Großkombi, den er sich selbst zu einem einfachen Wohnmobil umgebaut hat, kunstgerecht beladen. Er hat nämlich nur zwei Sitze. Für mich wird auf der Ladefläche ein Eckchen frei geräumt.

Um dreiviertel zehn geht es endlich los. Jean-François meint, dass ich mich bei den vielen Kurven wohl doch besser in der Mitte halten sollte, und so lege ich mich quer über Kisten, Kasten und Säcke. Jean-François rast mit echt französischem Temperament in einem höllischen Tempo über die kurvige Bergstraße. Ein Glück, dass ich hinten sitze und nicht alles mitansehen muss. Als er dann seine starke Brille in die Hand nimmt, weil sie zu schmutzig ist, putze ich sie lieber schnell. Bis Brive geht es noch ganz gut, doch danach kommt Nebel auf. Jean-François gähnt immer häufiger, fährt aber trotzdem unvermindert schnell weiter.

Thomas und ich sind extrem erleichtert, als wir endlich nach zwei Stunden Fahrt wohlbehalten in Argentat ankommen. Auch der Blaubär scheint in Ordnung - weder weg noch ausgeraubt. Nach einem letzten Schlückchen Bier können wir endlich wieder nach zwei Wochen im Womo übernachten.

Dienstag, der 3.8.

Eigentlich ist die Tour ja jetzt beendet. Kurz soll aber noch der heutige Rückholtag beschrieben werden. Wir verabschieden uns von Jean-François und fahren zunächst noch einmal über die Berge nach La Roque Gageac. Der Ort war so schön, dass wir ihn uns doch noch genauer ansehen wollen.

Wir besichtigen die mittelalterliche Felsenfestung und schauen auf die Boote hinunter, die jetzt im Monat August womöglich noch zahlreicher geworden sind.

Von La Roque Gageac aus halten wir uns an die Dordogne und kommen recht gut vorwärts. Unterwegs kaufen wir uns auf einer Gänsefarm Foie Gras und schauen uns kurz an, wie die Tierchen leben. Eigentlich sieht dies ganz beruhigend aus; da wird die Stopfleber gleich viel besser schmecken.

In Ste. Foy la Grande suchen wir das Maison du Vin auf. Dort erhalten wir die Adressen der beiden Weingüter, die am Samstag die Weinprobe auf dem Zeltplatz veranstaltet haben. Die Dame empfliehlt uns auch noch ein richtig gutes Restaurant, wo wir die Beendigung unserer Tour mit einem opulenten Menü feiern wollen.

Aber zunächst zu den Weingütern. Das eine hat einen köstlichen Rotwein und einen trockenen Weißwein, der mir sehr gut schmeckt. Das andere hat einen süßen Weißen, der genau nach Thomas‘ Geschmack ist.

Beim Probieren und Quatschen vergeht viel Zeit, daher ist es schon fast neun Uhr als wir endlich fertig sind und reichlich abgefüllt das Restaurant erreichen. Unsere Sorge, ob wir so spät noch etwas bekommen, erübrigt sich, weil das Restaurant heute sowieso Ruhetag hat. Also wird nichts aus dem großen Essen. Es gutes Essen wird es doch noch, als ich auf dem Campingplatz in Castillon aus den nachmittags gekauften Zutaten eine frische Paella mache.

Morgen sollen die Boote verladen werden und wir wollen so schnell wie möglich nach Berlin zurückreisen, um pünktlich zum 70. Geburtstag von Thomas Mutter zu Hause zu sein.                                  Schluss !

 

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